Olaf Scholz will «in grossem Stil abschieben». Bei seinem Besuch in Afrika muss er erkennen, dass dies kaum möglich ist
Der deutsche Kanzler reist nach Nigeria, um der dortigen Regierung die Rücknahme abgelehnter Asylbewerber schmackhaft zu machen. Doch den Machthabern schmeckt das Angebot ebenso wenig wie den Autokraten in Marokko, wo Innenministerin Faeser vorstellig wird.
Die deutsche Kehrtwende in der Migrationspolitik verkörpert derzeit niemand mehr als Bundeskanzler Olaf Scholz. In der vergangenen Woche postulierte er im «Spiegel» den kraftvoll anmutenden Satz, die Bundesrepublik müsse endlich «in grossem Stil abschieben». Ein paar Tage später machte er sich auf den Weg nach Afrika, um unter anderem über die Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern zu sprechen. Parallel zu ihm reiste in ähnlicher Mission auch Innenministerin Nancy Faeser auf den europäischen Nachbarkontinent. Am Ende beider Reisen steht die Erkenntnis, dass es schwierig werden dürfte, den markigen Kanzlerworten konkrete Taten folgen zu lassen.
Das zeigte sich, als Scholz in Abuja den nigerianischen Präsidenten Bola Tinubu traf. Bei der anschliessenden Pressekonferenz sprach der deutsche Kanzler von einer «Win-win-Situation», die das von Deutschland angestrebte Migrationsabkommen biete. Einerseits sollten «Talente aus Nigeria» in den deutschen Arbeitsmarkt kommen können, andererseits abgelehnte Asylbewerber in ihre Heimat zurückkehren müssen. Dazu sei eine enge Kooperation beider Staaten notwendig.
Der umworbene Gastgeber reagierte verhalten. Er erklärte zwar, die Zusammenarbeit verbessern zu wollen. Doch Zugeständnisse machte er öffentlich nicht. Wenn man ein Nigerianer sei, werde man zurückgenommen, sagte er lediglich. Doch hier liegt das Problem. Viele nigerianische Migranten besitzen keine Papiere mehr. Sie werden von den Behörden des Landes daher nicht als Nigerianer anerkannt. Zudem weigert sich die Regierung bis anhin, von deutschen Behörden ausgestellte Ersatzpapiere zu akzeptieren.
Nur wenige hundert Nigerianer konnten ausgeschafft werden
Nicht zuletzt diese Schwierigkeiten sorgen dafür, dass von den etwa
14 000 ausreisepflichtigen Nigerianern in Deutschland in diesem Jahr nur wenige Hundert ausgeschafft wurden. Der grösste Teil von ihnen lebt weiter als abgelehnte, aber geduldete Asylbewerber in der Bundesrepublik. Olaf Scholz versuchte daher, der neuen Regierung Nigerias die Rücknahme ihrer Landsleute mit Verweis auf das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Deutschland schmackhaft zu machen. Die Bundesrepublik, sagte Scholz, biete mehr legale Wege als je zuvor, um für eine Arbeitsaufnahme nach Deutschland zu kommen.
Dabei kommt dem «Zentrum für Jobs, Migration und Reintegration» in der einige hundert Kilometer südwestlich von Abuja gelegenen Millionenstadt Lagos eine besondere Rolle zu. Diese Einrichtung soll sich zum einen um Nigerianer kümmern, die nach Deutschland auswandern wollen, zum anderen aber auch in der Bundesrepublik abgelehnten und ausreisepflichtigen Landsleuten den Weg zurück in ihre Heimat erleichtern. Das Zentrum wurde vor fünf Jahren von der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) aufgebaut, liegt inzwischen aber in der Zuständigkeit des nigerianischen Arbeitsministeriums.
Als Scholz diese Einrichtung am Montag besuchte, zeigte sich ein weiteres Problem der deutschen Migrationspolitik: Es arbeiten mehrere Ministerien offenbar unabgestimmt an ein und demselben Thema. Gemäss Medienberichten kümmere sich das Zentrum gar nicht mehr um Rückkehrer, weil es als GIZ-Projekt dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstehe. Für die Rückkehr abgelehnter Asylbewerber ist in Deutschland aber das Bundesinnenministerium von Nancy Faeser zuständig. Auch das Jahresbudget der Einrichtung sei nach 49 Millionen Euro im Jahr der Gründung auf mittlerweile 29 Millionen mehr als halbiert worden, heisst es.
Gut 5000 Kilometer nördlich von Nigeria befand sich am Montag Nancy Faeser auf einer Mission, die sich als noch schwieriger als die von Scholz darstellte. Mit ihrem Besuch der marokkanischen Hauptstadt Rabat wollte die Innenministerin die Beziehungen Deutschlands zu dem nordwestafrikanischen Küstenstaat wiederbeleben, um in der Folge ebenfalls über die Rücknahme abgelehnter Asylbewerber sprechen zu können. Doch auch hier zeigten sich die Gastgeber eher zurückhaltend. Seit Jahren wird das Verhältnis zwischen Marokko und Deutschland vom Konflikt um die Westsahara belastet. Berlin erkennt den Herrschaftsanspruch der Regierung in Rabat auf das 1976 von Marokko annektierte Gebiet nicht an.
Marokko will seine Landsleute nicht zurück
So konnte Faeser auch erst einmal nur mit einer Absichtserklärung im Gepäck nach Deutschland zurückkehren. Dabei handelt es sich um ein inhaltlich sehr breit gefasstes Dokument, in dem die Migration nur ein Thema von mehreren ist. So bekundeten beide Staaten etwa, bei der Bekämpfung von Terroristen, Cyberkriminellen und organisierter Kriminalität enger kooperieren zu wollen.
Dass Deutschland aber vor allem auf ein Migrationsabkommen abzielt, liess sich schon allein daran erkennen, dass die Innenministerin vom «Sonderbevollmächtigten der Bundesregierung für Migrationsabkommen», Joachim Stampf, begleitet wurde. Er soll nun die Gespräche mit der marokkanischen Seite auf der Arbeitsebene weiterführen. Der Regierung in Berlin geht es dabei vor allem darum, dass Marokko seine Bürger zurücknimmt, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Wie in Nigeria gibt es auch hier grosse Schwierigkeiten.
Es existiert zwar seit 25 Jahren ein Rückführungsabkommen Deutschlands mit Marokko. Doch die Regierung in Rabat zeigt kaum Interesse, die Vereinbarung umzusetzen. So sollen derzeit etwa 3000 Marokkaner ausreisepflichtig sein, unter ihnen zahlreiche Straftäter, können aber aufgrund der Weigerungshaltung in Rabat nicht ausgeschafft werden. Mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz hofft die Bundesregierung, wie in Nigeria nun auch in Marokko ein Umdenken zu erzeugen.
Marokko lässt sich Torwächterfunktion teuer bezahlen
Die Frage ist allerdings, ob sich die autokratischen Herrscher auf ein Migrationsabkommen einlassen, das lediglich Zuwanderung und Rückführung regelt. Die marokkanische Regierung sitzt an einem langen Hebel, denn es sind nicht nur die Migranten aus dem eigenen Land, die nach Europa und Deutschland drängen. Marokko hat auch als Transitland für Flüchtlinge aus Westafrika eine grosse Bedeutung. Ein Migrationsabkommen sollte aus Sicht der Regierung in Berlin daher auch regeln, dass Marokko die Menschen zurücknimmt, die über das Land und das Mittelmeer nach Europa gekommen sind.
Doch Marokko weiss, dass es sich seine Torwächterfunktion für Europa teuer bezahlen lassen kann. Dabei geht es nicht nur um Geld. Spanien etwa hat im vergangenen Jahr die Souveränität Marokkos über die Westsahara anerkannt, um im Gegenzug die Regierung in Rabat dazu zu bewegen, die illegale Migration nach Spanien und in die Enklaven Ceuta und Melilla einzuhegen. Es wird sich zeigen, ob auch die deutsche Regierung bereit ist, diesen hohen politischen Preis im Gegenzug für die Rücknahme von Migranten zu zahlen. Schnell, wie es Bundeskanzler Scholz fordert, dürfte das aber nicht gehen.
Author: James Beasley
Last Updated: 1703150521
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